Keine Scheindebatte!

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Fast reflex­ar­tig kamen am Mon­tag, den 24.07.23 Ant­wor­ten auf den sinn­vol­len Vor­schlag des Minis­ter­prä­si­den­ten Söders, ver­pflich­ten­de Sprach­tests an den Grund­schu­len ein­zu­füh­ren.1Zum Schul­jahr 2024/25 sol­len nach dem Wil­len des baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Kin­der im Frei­staat vor der Ein­schu­lung zum ver­pflich­ten­den Sprach­test. Mäd­chen und Buben mit zu gro­ßen Deutsch­de­fi­zi­ten sol­len dann nicht in die ers­te Klas­se kom­men, son­dern ein “ver­pflich­ten­des Vor­schul-Kita-Jahr” absolvieren.

Das Wort Ver­pflich­tung wur­de über­se­hen, bei den belie­big in die Run­de gewor­fe­nen Ant­wor­ten der Oppo­si­ti­on.  Man will kei­ne Aus­gren­zung, jeder darf mitmachen.
Selt­sam ist doch: Beim Fuß­ball wür­de kei­ner auf die Idee kom­men, dem Trai­ner Fuß­bal­ler in der Band­brei­te Regio­nal­li­ga bis Bun­des­li­ga 1 in die Grup­pe zu packen, mit dem Ziel, alle gleich gut zu för­dern. Hier akzep­tiert man Ein­stu­fun­gen und die Tat­sa­che, dass der Trai­ner gleich­wer­ti­ge Kon­di­ti­ons­le­vels oder Kom­pe­ten­zen braucht, auf denen er sein Trai­ning abstimmt.

Die Schu­le soll das Gegen­teil tun und sich in Rich­tung brei­ar­ti­ger Gesamt­schu­le ent­wi­ckeln. Dass es aber dem ein­zel­nen Kind ohne Deutsch­kennt­nis­se nichts nützt, wenn es ver­ges­sen als 28. Kind in der Ecke sitzt und kei­ne För­de­rung erfährt, bleibt unbe­ach­tet. Haupt­sa­che, der öffent­li­che Schein gilt gewahrt.

Dies gilt es der Grü­nen-Bil­dungs­exper­tin im Land­tag, Gabrie­le Trie­bel zu ant­wor­ten, die es grund­sätz­lich für ver­nünf­ti­ger hält, wenn Kin­der mit Sprach­de­fi­zi­ten regu­lä­re Klas­sen besu­chen und “nur stun­den­wei­se für den Sprach­un­ter­richt her­aus­ge­nom­men wer­den”. Frau Trie­bel ver­gisst aber hier den Fak­tor, der für eine homo­ge­ne Bezugs­grup­pe von Vor­teil ist. Han­delt es sich um einen gerin­gen Migra­ti­ons­an­teil, mag die­ser Vor­satz ja stim­men. Doch wahr ist, dass eine Lehr­kraft der ers­ten Klas­se schon wahr­lich vie­le Auf­ga­ben mit der Unter­wei­sung im Lesen, Schrei­ben und Rech­nen zu über­neh­men hat und nicht noch auch noch den kom­plet­ten Sprach­un­ter­richt über­neh­men kann, der im Eltern­haus auf­grund Zuwan­de­rung nicht geleis­tet wer­den konnte.

Bei einem Migra­ti­ons­an­teil von 30% sieht die Sache näm­lich schon anders aus. Nicht zu ver­ges­sen Brenn­punkt­stand­or­te, an denen der Anteil ein viel höhe­rer ist.

Ver­ges­sen bleibt auch die Tat­sa­che, dass auf­grund Coro­na vie­le Kin­der mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund gar nicht in der Kita waren, weil sie gar kei­nen Platz bekom­men haben. Die­sen „hart umkämpf­ten Platz“ haben sich die deut­schen Eltern für ihre Kin­der gesichert.

Neu ist, dass die­sen Ein­stu­fungs­tests (Sprach­tests) auch Kon­se­quen­zen fol­gen müssen.

Sprach-Kitas, in denen die­se Kin­der dann so geför­dert wer­den, dass ihnen der Anschluss leicht­fällt. Jeder, der ein­mal eine frem­de Spra­che gelernt hat, weiß, dass es wenig bringt, wenn die Anfor­de­run­gen einer ande­ren Spra­che zu hoch über den eige­nen Kom­pe­ten­zen lie­gen.2Heck­hausen, Ent­wick­lungs­li­ni­en der Moti­va­ti­ons­for­schung, März 2018. Sprin­ger Ver­lag. Und das Kind sich qua­si im Sprach­bad nach vor­ne kämp­fen muss, um über­haupt zurecht zu kom­men. Schö­ne Chancen!

Sprach­tests? Machen wir schon?

Nein. Nicht ver­pflich­tend und ohne Kon­se­quen­zen.3Pia­zo­lo: “Das machen wir schon“. Pia­zo­lo betont, es gebe jetzt schon sogar meh­re­re Sprach­stand-Fest­stel­lun­gen bei Kin­dern, bei­spiels­wei­se bei der Schul­ein­gangs­un­ter­su­chung und bei der Schul­ein­schrei­bung. Auch ver­fü­ge der Frei­staat über ein “sehr dif­fe­ren­zier­tes” För­der­sys­tem. “Es wer­den schon sehr vie­le Kin­der — es sind über 30.000, wenn ich das rich­tig im Kopf habe — schon vor der Schu­le zusätz­lich im Vor­kurs Deutsch ent­spre­chend sprach­lich getrimmt.” Was jetzt vor­ge­schla­gen wor­den sei, “das machen wir schon”, ver­si­chert Piazolo.
Wie sieht die jet­zi­ge Rege­lung aus?

Bei „spe­zi­el­lem“ För­der­be­darf ist ein Vor­kurs anzu­ra­ten. Eine Ver­pflich­tung besteht jedoch nicht.4sie­he KWMBl 2010 S. 274, KMBek vom 23.7.2010) Und die Grund­schu­le kann ein Kind nach Art. 37a (3) Bay­EUG von der Auf­nah­me in die Schu­le zurück­stel­len und im nächs­ten Schul­jahr zum Besuch eines Kin­der­gar­tens mit inte­grier­tem Vor­kurs ver­pflich­ten, wenn es weder einen Kin­der­gar­ten noch einen Vor­kurs besucht hat und im Rah­men der Schul­an­mel­dung fest­ge­stellt wird, dass es nicht über die not­wen­di­gen Deutsch­kennt­nis­se verfügt.

Die­se „Kann-Lösung“ wür­de jetzt zu einer „Muss- Lösung“ wer­den. Was sinn­voll ist.

Denn bis­lang wur­den Kin­der ohne aus­rei­chen­de Deutsch­kennt­nis­se oft erst nur ab der 3. Klas­se einer Deutsch­klas­se zuge­wie­sen. Und auch nur dann, wenn der Stand­ort für das Grund­schul­kind nicht zu weit ent­fernt war. Denn Fahr­we­ge und Fahr­kos­ten woll­te man vermeiden.

Das sieht auch SPD-Bil­dungs­exper­tin Simo­ne Stroh­mayr so: “Geman­gelt hat es an den Kon­se­quen­zen, die aus die­sen Sprach­tests resul­tiert sind…. “Wenn Herr Söder jetzt einen sol­chen Vor­schlag macht, kann ich sagen: schön, end­lich Pro­blem erkannt.” …

Kei­ne Zeit? Jede Schu­le macht Ein­gangs Scree­nings für alle Kin­der. Da wür­de es doch Sinn machen und auch nicht mehr Zeit in Anspruch neh­men, Kin­der mit Sprach­de­fi­zi­ten genau­er anzu­se­hen. Und dann die rich­ti­gen Kon­se­quen­zen zu ziehen.

In der Mit­tel­schu­le sieht es noch viel schlim­mer aus. Da kom­men Kin­der aus so hete­ro­ge­nen Schich­ten zusam­men, dass die Lehr­kraft ihnen beim bes­ten Wil­len nicht gerecht wer­den kann. Kin­der aus dem För­der­schul­be­reich, ohne Deutsch­kennt­nis­se, ohne Alpha­be­ti­sie­rung., mit psy­chi­schen Pro­ble­men, weil sie ab der 8. Klas­se wie­der an der Pflicht­schu­le= Haupt­schu­le auf­ge­nom­men wer­den müssen.

Hier Unter­richt zu machen grenzt an ein Wun­der­ding. Und wenn das nicht hin­haut und die Ver­gleichs­ar­bei­ten oder PISA- Ergeb­nis­se nicht dem gewünsch­ten Ergeb­nis ent­spre­chen, kom­men wohl­fei­le Tipps aus der KMK- Kon­fe­renz, wie die Lehr­kraft den Unter­richt bes­ser machen könnte.

Ja. Der Weg ist rich­tig. Und auch die Kin­der in den ukrai­ni­schen Brü­cken­klas­sen haben fest­ge­stellt, dass ohne Kennt­nis­se der deut­schen Spra­che kei­ne Sprach­emp­feh­lung in die Regel­klas­se erfol­gen kann. Egal wel­cher Schulart.

Das moti­viert, und schafft Anrei­ze, um sich anzu­stren­gen und die Vor­aus­set­zun­gen für einen gelin­gen­den Unter­richt zu schaffen.

Die­ses Kon­zept darf “kein Schnell­schuss” sein, so CSU-Chef Mar­kus Söder nach eige­nem Bekun­den, son­dern ein sorg­fäl­tig erar­bei­te­tes Konzept.

Dass die CSU sich hier­bei auf den Weg macht und Struk­tu­ren für einen funk­tio­nie­ren­den Unter­richt schafft, ver­dient gro­ßes Lob.

Die hilf­lo­sen Äuße­run­gen des Leh­rer­ver­ban­des „Wer soll das machen?“ sind banal. Es ist ein unwe­sent­li­cher Auf­wand, wenn dar­an gekop­pelt ist, dass Sprach­kur­se vor­han­den sein müs­sen. Es ist bis­lang schon Pra­xis, dass die­sen Vor­kurs nicht mehr Lehr­kräf­te, son­dern Sub­sti­tu­te oder Brü­cken­lehr­kräf­te über­neh­men, die seit Coro­na instal­liert wur­den. Und hier soll­te man an Geld nicht sparen.

Dem FDP-Abge­ord­ne­ten Mat­thi­as Fisch­bach, der von einem „Wahl­kampf­gag “spricht, soll­te man ent­geg­nen, er sol­le selbst mal sinn­vol­le Vor­schlä­ge ent­wi­ckeln und das The­ma ange­hen. Gera­de bei dem jet­zi­gen Leh­rer­man­gel gilt es Res­sour­cen sinn­voll ein­zu­set­zen und Fehl­ent­wick­lun­gen ent­ge­gen zu wir­ken. Und für die Zuwan­de­rung der letz­ten Jah­re war ja auch nicht allein die CSU verantwortlich.

Kom­men­tar: Fach­aus­schuss Grund- und Mit­tel­schu­le — Nico­la-Alex­an­dra Lachner

 

Münch­ner Mer­kur vom 29.07.2023:
CSU for­dert Sprach­tests für Schü­ler und Vor­schul­pflicht: „Wer­den das prüfen“
Inte­gra­ti­ons­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann ver­tei­digt die Sprach­test-Plä­ne der CSU – und denkt laut über die Vor­schul­pflicht für Kin­der ohne Deutsch­kennt­nis­se nach.